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Scott Hutchins – Eine vorläufige Theorie der Liebe

23 Apr

Zur Zeit scheinen Bücher, die die Facetten der Liebe ausleuchten wollen, en Vogue zu sein. Wahrscheinlich ist dem Leser die kalte Kopulation der gehypten Erotikliteratur langsam zu wider und einsilbig. Auch bei Hutchins Roman werden die Emotionen und Zwiespälte, die mit der Liebe einhergehen ausgeleuchtet. Allerdings wird es auf eine andere unpathetische Art und Weise narrativ Wiedergegeben, die keines Weges zu süß und larmoyant daherkommt.

 

In der Geschichte erzählt der Protagonist über sein derzeitiges Leben mit deren Tücken und Hürden und wie seine derzeitige Anstellung bei einem Projekt zur Erschaffung einer künstlichen Intelligenz dazu beiträgt seine Umgebung und sich selbst zu verändern.

Neill, der Ich-Erzähler und die Hauptperson des Midlife-Crisis-Romans, lebt geschieden und somit allein in San Francisco. Die Trennung von seiner Ex-Frau Erin setzt ihm noch immer zu, da er den genauen Grund der Scheidung auch nach längerer Zeit noch nicht kennt. Doch dann lernt er Rachel kennen, eine junge naive Blondine, die Neill eher unbewusst aus seinem psychischen Loch reißt.

Neben Rachel als Rettungsanker, hat Neill noch den Job im Silicon Valley, bei dem er aufgrund der insgesamt rund 5000 Seitigen Tagebücher seines  Vaters, unabdingbar ist, er selbst aber nicht genau weiß welche Funktion er bei dem Projekt spielt. Auf Grundlage jener Tagebücher, wollen Neill und seine beiden Partner eine künstliche Intelligenz erschaffen, die vom Menschen kaum zu unterscheiden ist. Dabei lernt er seinen Vater erst ausführlich kennen und sein bisheriges Leben nimmt eine ganz neue Tönung an.

Aufgrund Neills Taten und Nicht-Taten bei dem Projekt in Silicon Valley und in seiner Freizeit mit Rachel und anderen neuen Freunden, entwickelt er eine ganz eigene Sichtweise der Liebe und einen anderen Blick auf den Menschen.

 

Auch wenn der Buchmarkt momentan von Publikationen die um das angenehme Thema Liebe kreisen nahezu gesättigt zu sein scheint, der Debutroman von Scott Hutchins ist lesenswert und das nicht nur wegen der interessanten Thematik und der Fusion von Liebe in verschiedenen Auslegungen und künstlicher Intelligenz oder gar Robotik. Allein das flauschige Sprachbild welches Hutchins formt, trägt zu einem zügigen und angenehmen Lesefluss bei. Dennoch ist es ein kluges Buch. Doch Hutchins’ Duktus hat noch mehr zu bieten. Der Leser wird kraft des Schreibstils in die melancholische Stimmung von Neill versetzt, der etwas deprimiert scheint. Diese Macht der Sprache, Emotionen bei dem Leser auszulösen, bereitet ein ansehnliches Vergnügen beim lesen der Lektüre.

Harmonisch auch wie der Autor die Stadt San Francisco, deren Umgebung und die Einwohner beschreibt, sodass man einen Eindruck von der Atmosphäre und der Umwelt in und um der City erhält. Außerdem ist das Buch geeignet um einen Blick auf die heutige Generation zu werfen, da gerade die um die dreißig Jährigen, von Selbstzweifel und Unentschlossenheit geplagt werden, wie es auch bei dem Held der Geschichte der Fall ist.

Das Projekt, an dem Neill helfend arbeitet, konvergiert oft mit Google, da es auch auf eine technologische Singularität hinausläuft. Wer glaubt der Roman veranschaulicht futurologische Theorien zur künstlichen Intelligenz und den daraus resultierenden Trans- oder Posthumanismus, wird enttäuscht. Das Buch beleuchtet vielmehr Gemütsbewegungen, Emotionen und dem sich ergebenden Sozialverhalten.


Der Schutzumschlag wurde treffend zum Charakter und zur Thematik des Buches gestaltet. Die serifenlosen Majuskeln des Titels erweckt den Eindruck sie seien handgeschrieben. Das zum einen an einen mit Hand geschriebenen Liebesbrief oder vielmehr an die schöpferische Stadt San Francisco, an deren Schnelligkeit und Veränderungstrieb erinnert. Beim Schriftzug “Eine vorläufige Theorie der Liebe” ist jeder Buchstabe in einem anderen Farbton gehalten, dass auf die Verspieltheit (vielleicht schnöder Hedonismus?) oder auf die Hippies und Hipster der City hinweißt. Der schwarze Grund wiederum suggeriert eine melancholisch oder depressive Stimmung, der wohl einfach die Schattenseiten des Lebens in der Stadt wiederspiegeln soll. Am Fuß des Umschlags sind in unterschiedlichen Farben die Golden Gate Bridge, die Transamerica Pyramid und einige typische Hochhäuser, in denen eventuell die Protagonisten residieren, zu sehen. Man erkennt also gleich wo der Roman spielt und kann möglicherweise einen ersten Kontext ermitteln.